Aktualisiert am 13. März 2024 durch Lukas Rieder Dr. oec.
Verheissungen der Erfahrungskurve
Bruce Henderson (sh. „Literaturnachweise„) hat mit umfangreichen empirischen Untersuchungen (ex post) für ganze Branchen oder für die in einem Markt angebotenen Produktmengen in verschiedenen Industrien belegt, dass die
(realen) vollen Wertschöpfungskosten bei jeder Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge um 20 bis 30% sinken.
Die praktische Anwendung dieser Erkenntnis in der eigenen Organisation erfordert es, die Verheissungen der Erfahrungskurve differenziert zu betrachten:
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- Die Kostensenkung gilt bei jeder Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge (seit Markteinführung eines Angebots). Wie schnell eine Verdoppelung erfolgt, ist folglich vom Markt- und vom eigenen Wachstum abhängig. In schnell wachsenden Märkten kann eine Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge (aller Anbieter) in wenigen Monaten erfolgen, in reifen Märkten kann diese mehrere Jahre erfordern.
- Wertschöpfungskosten umfassen die Kosten für die im eigenen Unternehmen erbrachten Leistungen. Das sind vor allem die gesamten (proportionalen und fixen) Personalkosten und die verbrauchten extern bezogenen Dienstleistungen und Services sowie die Abschreibungen (nur fixe Kosten). Sie entstehen, damit die eigene Leistung erbracht und der Gewinn entstehen kann. Direkt produktbezogene Material- und Fremdleistungskosten gehören nicht zu den Wertschöpfungskosten, da diese durch die Lieferanten bestimmt werden. Die Wertschöpfungskosten ergeben sich, wenn vom gesamten Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung die Material- und externen Dienstleistungsverbräuche abgezogen werden, welche direkt durch die verkauften Produkte verursacht wurden.
Die Wertschöpfungskosten pro verkaufte Einheit sind zu senken, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen. Die Grafik zeigt die Entwicklung der Wertschöpfungskosten bei jeder Verdoppelung der kumulierten ausgebrachten Menge, wobei angenommen wird, dass die verkauften Artikel die gleichen bleiben.
Der absolute Unternehmensgewinn steigt, solange der Verkaufspreis gehalten werden kann (im Beispiel bei 12.00) und die Wertschöpfungskosten sowie die Kosten für Material und Fremdleistungen entsprechend den Verdoppelungen gesenkt werden können.
Die Erfahrungskurve gilt auch für die Konkurrenten. Schaffen diese die Verdoppelungen schneller, haben sie auch die Chance, ihre Wertschöpfungskosten pro Einheit schneller zu senken. Dadurch steigt ihr Potenzial, ihre Netto-Verkaufspreise zu senken und so ihre Marktstellung zu verbessern.
Die Grafik enthält noch keinen Kalenderbezug. Deshalb ist noch nicht ableitbar, welche Kostensenkungen in welchen Jahren zu realisieren sind. Die Vorgehensweise der Quantifizierung wird in einem weiteren Beitrag erläutert.
Vier Wirkungsfaktoren bestimmen die Realisierung von Erfahrungskurvenfortschritten: Skaleneffekt, Lerneffekt, verbesserte Verfahren, Produktgestaltung.
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- Skaleneffekte treten mehr oder weniger automatisch ein. Steigen die Absatz- und damit die Produktionsmenge, verteilt sich der Fixkostenblock auf mehr Einheiten, wodurch die durchschnittlichen kompletten Produktkosten sinken.
- Lerneffekt: Menschen und Maschinen lernen aus der Erfahrung. Durch Wiederholung können gleichbleibende Prozesse mit weniger Zeitaufwand abgewickelt werden. Die Prozesse werden effizienter, was sich in niedrigeren Bearbeitungszeiten pro Stück auswirkt. Administrative Prozesse können ebenfalls mit weniger Zeitaufwand und weniger Fehlern erledigt werden. Durch integrierte Datenverarbeitung stehen Informationen bereichsübergreifend zur Verfügung und durch Machine Learning und Künstliche Intelligenz können viele Auswertungsarbeiten automatisiert werden.
- Technologiefortschritte: Durch den Einsatz neuer und leistungsfähigerer Anlagen kann die Herstellung mit weniger Zeitaufwand und eventuell verbesserter Qualität erfolgen. Oft werden solche Investitionen mit Kapazitätserweiterungen kombiniert.
- Produktdesign: Neue Materialien und neue Formen ermöglichen kostengünstigere Herstellung. Die Veränderung des Produktdesigns sollte zugleich höhere Verkaufsmengen und veränderte Verkaufspreise ermöglichen.
Ergebnisentwicklung und Erfahrung
Die Tabelle und die Grafiken zeigen beispielhaft, wie sich die Erfahrungskurvenfaktoren und die Steigerung der Absatzmengen über 7 Jahre auf den Gewinn vor Abzug von Steuern und Zinsen (EBIT) auswirken:
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- Die Zunahme der Absatzmengen über die Jahre führt trotz fallender Nettoerlöse pro Stück zu stark steigenden absoluten Nettoerlösen.
- Die Fixkosten sinken pro Stück, obwohl die Absolutbeträge für Abschreibungen und fixe Personal- und Sachkosten steigen (Fixkostendegression).
- Durch Lerneffekte und Prozessverbesserungen in der Fertigung sowie eventuell durch günstigeren Materialeinkauf sinken die proportionalen Herstellkosten von 10.00 auf 8.00 pro Stück.
Die oben gewählte Darstellungsform der Entwicklungen setzt voraus, dass im Management Accounting eindeutig zwischen proportionalen und fixen Kosten unterschieden wird und dass eine Deckungsbeitragsrechnung erstellt wird (vgl. dazu die entsprechenden Beiträge im Blog „Management Accounting“ (Themenstruktur)).
Kostensenkungsmöglichkeiten überall suchen
Zu beachten ist, dass nur die Fixkostendegression eine automatische Folge der wachsenden Absatzmengen ist. Die Verheissungen der Erfahrungskurve in der eigenen Organisation zu realisieren, erfordert grosse Anstrengungen in der operativen Planung, Umsetzung und Steuerung. Kostensenkungsmöglichkeiten sind überall im Unternehmen zu suchen, nicht nur bei den Produkten. Niedrigere absolute Personaladministrationskosten senken in der Gesamtbetrachtung die Durchschnittskosten pro Stück genauso wie eine unterproportionale Steigerung der IT-Kosten im Verhältnis zum Umsatzwachstum im gleichen Zeitraum.
In den nächsten Beiträgen werden Instrumente gezeigt, welche die Erzielung der Verbesserungen unterstützen.