Erfahrungskurve und Mittelfristplanung

Die Kostenlücke lässt sich durch Vergleich der bisherigen Mittelfristplanung mit der Erfahrungskurve quantifizieren.

Erfahrungskurve und Mittelfristplanung

Die für das eigene Unternehmen angepasste Erfahrungskurve bildet den Orientierungsrahmen für die mittelfristige operative Planung. Gelingt es, die realen Kosten im empirisch festgestellten „Entwicklungskorridor“ von minus 20% bis minus 30% zu halten?

Die aus dem vorangehenden Beitrag schon bekannte Entwicklung der Ergebnisrechnungen des mittelfristigen Planungshorizonts repräsentiert  den aktuellen Bearbeitungsstand der mittelfristigen Planung. In den Zeilen 10 und 11 ist zu erkennen, dass die durchschnittlichen Wertschöpfungskosten pro Stück absolut und prozentual sinken, obwohl auch die Nettoerlöse pro Stück abnehmen. Die Planer erwarten also, dass die Konkurrenz im Planungszeitraum ebenfalls die Preise senken wird.

Erfahrungskurve und Mittelfristplanung
Erfahrungskurve und Mittelfristplanung
Wird die bisher geplante Entwicklung in die unternehmensbezogene Erfahrungskurve aus dem vorangehenden Beitrag integriert, entsteht folgende Grafik:
Bisherige Mittelfristplanung und der Erfahrungskurven-"Funnel"
Bisherige Mittelfristplanung und der Erfahrungskurven-„Funnel“

Es zeigt sich, dass sich die bisherigen Planwerte ausser im Planjahr 3 im „Funnel“ bewegen, die 20% Erfahrungskurve aber noch nicht erreichen. Die punktierte Trendlinie lässt für den Planungshorizont auf eine Erfahrungskurve von durchschnittlich 15% schliessen.

Was ist zu tun?

Da in der Planungsphase noch nicht bekannt ist, ob die Konkurrenz durch Preissenkungen schneller wachsen und dadurch eine bessere Erfahrungskurve erreichen könnte, sind die Personal- und Sachkosten sowie die kalkulatorischen Abschreibungen in den Kostenstellenplänen nochmals zu überarbeiten.

Gemäss den bisjerigen Plan-Ergebnisrechnungen werden die Personal- und Sachkosten sowie die kalkulatorischen Abschreibungen im Planjahr 2 stark ansteigen. Insbesondere steigen die fixen Wertschöpfungskosten um 0,5 Mio. Das erklärt den Sprung aus dem „Funnel“ in Planjahr 3 und die sich ergebende Steigerung des Anteils der Wertschöpfungskosten von 42% auf 46% des Nettoerlöses. In den Planjahren 4 – 6 steigen dann die Wertschöpfungskosten wieder langsamer als der Nettoerlös, was sich in der Verbesserung der eigenen Erfahrungskurve und natürlich auch in höheren EBIT’s zeigt.

Die Planüberarbeitung muss sich folglich vor allem auf die Planwerte für Personal- und Sachkosten in den Kostenstellen konzentrieren und nach Wegen suchen, wie die Investitionen auf mehr Jahre verteilt werden können, da sie die Höhe der kalkulatorischen Abschreibungen bestimmen.

Der Aufwand für die Erstellung der eigenen Erfahrungskurve ist überschaubar. Der Vergleich der Kurve mit den eigenen mittelfristigen Plänen lässt erkennen, in welchen Kostenstellen zuerst nach Kostensenkungsmöglichkeiten zu suchen ist.

Mit der Gegenüberstellung des aktuellen Planungsstands zur eigenen Erfahrungskurve wird die Kostenlücke quantifiziert, die es in den kommenden Jahren zu schliessen gilt, soll die konkurrenzfähige Kostenposition erhalten werden. Die Fähigkeit im Konkurrenzkampf zu bestehen, wird weitgehend in der mittelfristigen Planung aufgebaut.

Verheissungen der Erfahrungskurve

Erfahrungskurvenfortschritte entstehen nur teilweise automatisch, hauptsächlich werden sie durch konsequente Kostensenkungen erreicht.

Verheissungen der Erfahrungskurve

Bruce Henderson (sh. „Literaturnachweise„) hat mit umfangreichen empirischen Untersuchungen (ex post) für ganze Branchen oder für die in einem Markt angebotenen Produktmengen in verschiedenen Industrien belegt, dass die

(realen) vollen Wertschöpfungskosten bei jeder Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge um 20 bis 30% sinken.

Die praktische Anwendung dieser Erkenntnis in der eigenen Organisation erfordert es, die Verheissungen der Erfahrungskurve differenziert zu betrachten:

    • Die Kostensenkung gilt bei jeder Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge (seit Markteinführung eines Angebots). Wie schnell eine Verdoppelung erfolgt, ist folglich vom Markt- und vom eigenen Wachstum abhängig. In schnell wachsenden Märkten kann eine Verdoppelung der kumulierten Ausbringungsmenge (aller Anbieter) in wenigen Monaten erfolgen, in reifen Märkten kann diese mehrere Jahre erfordern.
    • Wertschöpfungskosten umfassen die Kosten für die im eigenen Unternehmen erbrachten Leistungen. Das sind vor allem die gesamten (proportionalen und fixen) Personalkosten und die verbrauchten extern bezogenen Dienstleistungen und Services sowie die Abschreibungen (nur fixe Kosten). Sie entstehen, damit die eigene Leistung erbracht und der Gewinn entstehen kann. Direkt produktbezogene Material- und Fremdleistungskosten gehören nicht zu den Wertschöpfungskosten, da diese durch die Lieferanten bestimmt werden. Die Wertschöpfungskosten ergeben sich, wenn vom gesamten Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung die Material- und externen Dienstleistungsverbräuche abgezogen werden, welche direkt durch die verkauften Produkte verursacht wurden.

Die Wertschöpfungskosten pro verkaufte Einheit sind zu senken, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen. Die Grafik zeigt die Entwicklung der Wertschöpfungskosten bei jeder Verdoppelung der kumulierten ausgebrachten Menge, wobei angenommen wird, dass die verkauften Artikel die gleichen bleiben.

Erfahrung muss Wertschöpfungs- und Selbstkosten /Stück senken
Erfahrung muss Wertschöpfungs- und Selbstkosten /Stück senken

Der absolute Unternehmensgewinn steigt, solange der Verkaufspreis gehalten werden kann (im Beispiel bei 12.00) und die Wertschöpfungskosten sowie die Kosten für Material und Fremdleistungen entsprechend den Verdoppelungen gesenkt werden können.

Die Erfahrungskurve gilt auch für die Konkurrenten. Schaffen diese die Verdoppelungen schneller, haben sie auch die Chance, ihre Wertschöpfungskosten pro Einheit schneller zu senken. Dadurch steigt ihr Potenzial, ihre Netto-Verkaufspreise zu senken und so ihre Marktstellung zu verbessern.

Die Grafik enthält noch keinen Kalenderbezug. Deshalb ist noch nicht ableitbar, welche Kostensenkungen in welchen Jahren zu realisieren sind. Die Vorgehensweise der Quantifizierung wird in einem weiteren Beitrag erläutert.

Vier Wirkungsfaktoren bestimmen die Realisierung von Erfahrungskurvenfortschritten: Skaleneffekt, Lerneffekt, verbesserte Verfahren, Produktgestaltung.

    1. Skaleneffekte treten mehr oder weniger automatisch ein. Steigen die Absatz- und damit die Produktionsmenge, verteilt sich der Fixkostenblock auf mehr Einheiten, wodurch die durchschnittlichen kompletten Produktkosten sinken.
    2. Lerneffekt: Menschen und Maschinen lernen aus der Erfahrung. Durch Wiederholung können gleichbleibende Prozesse mit weniger Zeitaufwand abgewickelt werden. Die Prozesse werden effizienter, was sich in niedrigeren Bearbeitungszeiten pro Stück auswirkt. Administrative Prozesse können ebenfalls mit weniger Zeitaufwand und weniger Fehlern erledigt werden. Durch integrierte Datenverarbeitung stehen Informationen bereichsübergreifend zur Verfügung und durch Machine Learning und Künstliche Intelligenz können viele Auswertungsarbeiten automatisiert werden.
    3. Technologiefortschritte: Durch den Einsatz neuer und leistungsfähigerer Anlagen kann die Herstellung mit weniger Zeitaufwand und eventuell verbesserter Qualität erfolgen. Oft werden solche Investitionen mit Kapazitätserweiterungen kombiniert.   
    4. Produktdesign: Neue Materialien und neue Formen ermöglichen kostengünstigere Herstellung. Die Veränderung des Produktdesigns sollte zugleich höhere Verkaufsmengen und veränderte Verkaufspreise ermöglichen.

Ergebnisentwicklung und Erfahrung

Grunddaten für Erfahrungskurve
Grunddaten für Erfahrungskurve
Verheissungen der Erfahrungskurve
Entwicklung von Nettoerlös, Kosten und EBIT

Die Tabelle und die Grafiken zeigen beispielhaft, wie sich die Erfahrungskurvenfaktoren und die Steigerung der Absatzmengen über 7 Jahre auf den Gewinn vor Abzug von Steuern und Zinsen (EBIT) auswirken:

    • Die Zunahme der Absatzmengen über die Jahre führt trotz fallender Nettoerlöse pro Stück zu stark steigenden absoluten Nettoerlösen.
    • Die Fixkosten sinken pro Stück, obwohl die Absolutbeträge für Abschreibungen und fixe Personal- und Sachkosten steigen (Fixkostendegression).
    • Durch Lerneffekte und Prozessverbesserungen in der Fertigung sowie eventuell durch günstigeren Materialeinkauf sinken die proportionalen Herstellkosten von 10.00 auf 8.00 pro Stück.

Die oben gewählte Darstellungsform der Entwicklungen setzt voraus, dass im Management Accounting eindeutig zwischen proportionalen und fixen Kosten unterschieden wird und dass eine Deckungsbeitragsrechnung erstellt wird (vgl. dazu die entsprechenden Beiträge im Blog „Management Accounting“ (Themenstruktur)).

Kostensenkungsmöglichkeiten überall suchen

Zu beachten ist, dass nur die Fixkostendegression eine automatische Folge der wachsenden Absatzmengen ist. Die Verheissungen der Erfahrungskurve in der eigenen Organisation zu realisieren, erfordert grosse Anstrengungen in der operativen Planung, Umsetzung und Steuerung. Kostensenkungsmöglichkeiten sind überall im Unternehmen zu suchen, nicht nur bei den Produkten. Niedrigere absolute Personaladministrationskosten senken in der Gesamtbetrachtung die Durchschnittskosten pro Stück genauso wie eine unterproportionale Steigerung der IT-Kosten im Verhältnis zum Umsatzwachstum im gleichen Zeitraum.

In den nächsten Beiträgen werden Instrumente gezeigt, welche die Erzielung der Verbesserungen unterstützen.