Aktualisiert am 23. August 2024 durch Lukas Rieder Dr. oec.
Schwache Signale (Weak signals)
Die Medien berichten täglich über neue Entwicklungen in den verschiedenen Teilumwelten eines Unternehmens. Nachrichten über neue technologische Erkenntnisse, neu angebotene Produkte oder Dienstleistungen, Nachfrageverschiebungen in den Märkten, neue Konkurrenten, neue technische und gesetzliche Vorschriften sowie sich änderndes Konsumentenverhalten könnten Einfluss auf das zukünftige eigene Geschäft und die Arbeitsplätze haben. Die Vielfalt solcher Nachrichten ist unüberblickbar.
Führungskräfte fragen sich, wie sie parallel die Ziele des operativen Geschäfts erreichen sollen und dabei keine Entwicklungen in den Unternehmensumwelten verpassen, welche sich in Zukunft auf das eigenen Geschäftsmodell auswirken könnten.
„Der Grundmotor der Daten-, Mengen- und Wertflüsse“ zeigt, dass die Zielerreichung innerhalb des Unternehmenssystems zu erreichen ist, Informationen zur zukünftigen Positionierung des Unternehmens jedoch nur in den Teilumwelten des Unternehmens zu suchen sind. Die richtige Aussenorientierung ist für das Unternehmen überlebenswichtig. Doch keine Organisation hat die Kapazität, alle externen Nachrichten mit einem vermuteten Bezug zur eigenen Zukunft auszuwerten. Helfen kann die Idee, in den Unternehmensumwelten nach Schwachen Signalen (Weak signals) zu suchen.
Schwache Signale werden allgemein als die „…frühsten, kleinsten Signale bezeichnet, welche auf mögliche Änderungen hinweisen deren Auswirkungen jedoch noch nicht richtig erkennbar sind“ (freie Übersetzung aus P. Gomez, M. Lambertz, Leading by Weak Signals, S. 9). Ein Schwaches Signal ist zu verfolgen, wenn sein Inhalt für die Umsetzung der eigenen Strategien oder für den Fortbestand des eigenen Unternehmens wichtig werden könnte.
Mitarbeitende, Führungskräfte und Unternehmenseigner haben kaum Zeit, diese Datenflut zu bewältigen, da sie schon mit der operativen Führung vollauf beschäftigt sind. Deshalb ist zu überlegen:
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- Was macht aus einer Nachricht ein Schwaches Signal?
- Wie lassen sich Schwache Signale für die eigene Organisation herausfiltern?
- Wer übernimmt die Datenauswertung und -aufbereitung und folgert, was intern zu beurteilen ist (Triage)?
- Wie werden die eigenen Spezialisten und Führungskräfte in die Beurteilung der Schwachen Signale mit Bezug zum Unternehmen eingebunden?
- Wer beschliesst, ob aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse strategische und operative Pläne oder gar unternehmenspolitische Grundsätze anzupassen sind?
Ad 1 und 2: Das Signal soll sich auf die Bedürfnisse der eigenen Kunden oder Interessenten, auf das Dienstleistungs- oder Produktsortiment des Unternehmens oder gar auf die grundsätzliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens beziehen. Neu angebotene Dienstleistungen oder Produkte könnten das eigene Angebot obsolet werden lassen oder mindestens konkurrenzieren. Das Knowhow der eigenen Mitarbeitenden könnte nicht mehr genügen, die sich ändernde Nachfrage zu befriedigen. Die Möglichkeiten, Rohstoffe und Dienstleistungen für die Herstellung der eigenen Produkte und Dienstleistungen zu beschaffen, könnten eingeschränkt werden oder die Einstandspreise steigen massiv. Gesetzliche Regelungen oder politische Entwicklungen könnten den Absatz der eigenen Produkte be- oder verhindern. Schliesslich können auch Verhaltensänderungen in der sozialen Umwelt schwache Signale sein, beispielsweise dann wenn Freizeit höher gewichtet wird als das verfügbare Einkommen.
Ad 3 und 4: Wer hauptsächlich mit Herstellung, Vertrieb und Kundenbetreuung beschäftigt ist, hat kaum Zeit, sich um potenzielle Veränderungen in der Unternehmensumwelt zu kümmern. Für die Beobachtung von Umweltveränderungen und die Klassifizierung ihrer potenziellen Auswirkungen sind personelle Kapazitäten aufzubauen (eigene und/oder extern Beauftragte). Sie sollen, vorzugsweise vor der Überarbeitung der strategischen Planung, die festgestellten schwachen Signale den Planenden erläutern, damit diese sie in ihre Planungsüberlegungen einfliessen lassen können.
Ad. 5: Die Beurteilung Schwacher Signale führt zu Handlungsbedarf und damit zu Arbeitseinsatz und zu zusätzlichen Ausgaben. Die dafür notwendigen Ressourcen (vor allem Personal und Geld) müssen die Unternehmensleitung und die Eigentümer bewilligen, da die nachgelagerten Bereiche dafür nicht die Verantwortung übernehmen wollen und können.
Zur Sicherung des erfolgreichen Fortbestands eines Unternehmens ist durch die Führung zu entscheiden, ob die strategischen und operativen Pläne aufgrund von „Schwachen Signalen“ anzupassen sind oder ob gar der Unternehmenszweck zu ändern ist.
Nachhaltiger Erfolg, Frühwarnung und Schwache Signale
Unternehmen mit Zukunft sollen resilient sein. Sie müssen fähig sein, Belastungen und Krisen sowie neue Herausforderungen zu meistern, um sich gesund fortentwickeln zu können. Das gelingt dann, wenn das Unternehmen sein Angebot den zukünftigen Anforderungen des Marktes rechtzeitig anpasst. Denn die Märkte und damit die Nachfrage ändern sich ständig. Die heute erfolgreich verkauften Produkte und Dienstleistungen verlieren ihre Marktposition, weil andere Unternehmen neue, für die potenziellen Kunden erfolgversprechendere Angebote auf den Markt bringen. Als Folge sinken die eigenen Umsätze und die Deckungsbeiträge, die Gewinne schmelzen ab und das bisher für den Erfolg relevante Personal sucht bessere Arbeitsplätze.
Schwache Signale in den Unternehmensumwelten sollen dazu führen, bevorstehende Änderungen festzustellen, bevor sie eintreten. Denn die Organisation braucht Zeit, sich an bevorstehende Änderungen anzupassen.
Schwache Signale, vor allem aus Technologie, Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie aus der sozialen Umwelt, geben Hinweise, welche Entwicklungen zeitnah zu beobachten sind. Um die Erfassung und Analyse schwacher Signale nicht ausufern zu lassen und zu einer Paralyse durch Analyse zu führen, ist der Suchbereich einzugrenzen.
Die IBM Corporation beobachtet seit ihrer Gründung 1911 kontinuierlich Schwache Signale, entwickelt dafür neue Produte und Applikationen und hat die Marktbearbeitung mehrfach umgekrempelt. Details können in Wikipedia unter https://de.wikipedia.org/wiki/IBM#Geschichte nachvollzogen werden.
Zu Beginn der 80er-Jahre hat der Verfasser dieses Beitrags dort noch gelernt, Lochkarten zu stanzen, Vorläufer von Tabellenkalkulationen zu programmieren und die verfügbaren Systeme auch zu verkaufen. Seither hat sich das Unternehmen IBM mindestens viermal komplett neu erfunden. Midrange Computer, Personal Computer, Drucker und andere Peripheriegeräte sind Geschäftsbereiche, die IBM vor Jahren verkauft hat, als sie noch erkleckliche Gewinne generierten. Aktuell ist IBM ganz vorne im Cloud Computing, in Blockchain-Technologie und Datensicherheit, in künstlicher Intelligenz und in der Beratung dabei. Der Aktienkurs stand 1994 bei rund 14$, Ende 2023 bei 170 $.
Aus der Hubschrauber-Perspektive erscheint es so, dass IBM kontinuierlich eine Produkt- oder Markt-Lebenskurve an die nächste gereiht hat. Wenn die Wachstumskurve immer noch nach oben zeigte, die Wachstumsraten aber zu sinken begannen, begannen sie jeweils neue Märkte mit neuen Technologien zu erobern. Um das Bargeld für den Aufbau der neuen Geschäftsfelder zu beschaffen, haben sie finanziell (noch) erfolgreiche Unternehmensteile verkauft, um die Liquidität in neue Geschäftsfelder investieren zu können.
Empirische Untersuchungen der Mc Kinsey-Berater Bradley, Hirt und Smit belegen, dass die geschilderte Vorgehensweise, Lebenskurven aneinander zu reihen, eine probate Idee für die Erzielung nachhaltigen Wachstums ist. Peter Gomez und Mark Lambertz zeigen, wie durch Analyse vorauseilender Kenngrössen (Leading Indicators) die Suche nach geeigneten Schwachen Signalen für das eigene Unternehmen fokussiert werden kann.