Kaufentscheidende Kriterien ermitteln

Cost/Benefit-Faktoren zu beurteilen gelingt nur, wenn man sich in die Entscheidungssituation des (potenziellen) Kunden versetzt.

Aktualisiert am 24. April 2024 durch Lukas Rieder Dr. oec.

Kaufentscheidende Kriterien ermitteln

Der gesamte wahrgenommene Benefit wird anhand von gewichteten Benefit-Kriterien ermittelt. Dabei werden nicht nur die Kriterien berücksichtigt, die das Produkt oder die Dienstleistung konstituieren, sondern auch Service-, Added-Value- und Imagekriterien.Handelt es sich um ein klassisches, haptisches Produkt, sind die konstituierenden Kriterien meist äquivalent mit den technischen Daten: Motorleistung, Ladevolumen, Taktfrequenz, Kompaktheit der Abmessungen, Fertigungstoleranz oder Ähnliches.

Wird die Kundennutzenanalyse für eine Dienstleistung erstellt, geht es um die Kriterien, die diese Dienstleistung konstituieren. Bei einer Logistikdienstleistung sind dies z.B. die zeitnahe Lieferung der Ware, bei einer Beratungsdienstleistung die fachliche Kompetenz der Berater oder bei einer Ausbildungsdienstleistung die Wahrscheinlichkeit, die Diplomprüfung zu bestehen.

Sowohl beim Kauf von haptischen Produkten wie auch beim Kauf von Dienstleistungen können nicht-konstituierende, ergänzende Dienstleistungen eine entscheidende Rolle spielen. Im Jargon der Kundennutzenanalyse spricht man meistens von Service-Kriterien. Dazu zählen je nach Geschäft die fachliche Qualität der Verkaufsberatung, die Lieferfristen, die Freundlichkeit der Bedienung, die Garantieleistungen, die Dichte des Netzes der Servicestellen, die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, die unkomplizierte Buchung eines Upgrades, die Verfügbarkeit einer Hotline, usw.

Added-Value-Kriterien bieten aus Kundensicht einen Mehrwert, z.B. «Rezyklierbarkeit» oder «Hergestellt in der Schweiz».

Image-Kriterien bewerten das Markenimage oder das Image von Influencern, die das Produkt bewerben. In Business-to-Business-Geschäften sind oft (Projekt)-Referenzen wichtig, v.a. im Neukundengeschäft. Im Bestandskundengeschäft kann demgegenüber das Image-Kriterium «Hat letztes Mal prima funktioniert» eine zentrale Rolle spielen. Es steht für eine Kompetenzvermutung, aufgrund derer der Bestandskunde ohne weitere sachlicher Prüfung aller anderen Kriterien zum Kauf schreitet. Gerade in Projektgeschäften wird oft unterschätzt, dass die Projektmitarbeiter des heutigen Projekts die wichtigsten «Verkäufer» für das nächste Projekt sind.

Analog zum Benefit werden die gesamten durch die potenziellen Kunden wahrgenommenen Kosten mit gewichteten Cost-Kriterien ermittelt. Hierzu gehören typischerweise einmalige und wiederkehrende monetäre Kosten. Zu den einmaligen monetären Kosten gehört der Verkaufspreis, aber auch einmalige Projektinvestitionen (die Finanzexperten sprechen von Capital Expenditure, oder kurz: CAPEX). Zu den wiederkehrenden monetären Kosten gehören Wartungskosten, Lizenzkosten, Verbrauchsmaterialien etc. (die Finanzexperten sprechen von Operational Expenditure, oder kurz: OPEX).

Obwohl es sowohl bei CAPEX wie bei OPEX um Geldwerte geht, die der nüchterne Rechner in einem Zeitwert (Net Present Value, NPV) zusammenkondensieren kann, empfiehlt es sich in der Kundennutzenanalyse, diese Cost-Kriterien klar auseinanderzuhalten. In der Kaufentscheidung wird meist nicht 100% nüchtern gerechnet, sondern es spielen auch politische Faktoren eine Rolle. Einige Kunden mögen keinen CAPEX und gewichten deshalb die einmaligen monetären Cost-Kriterien höher als die wiederkehrenden. Andere machen es genau umgekehrt.

Auch die nicht-monetären Cost-Kriterien spielen eine bedeutende Rolle in der Kaufentscheidung. Dazu gehört z.B. der Zeitaufwand, der auf Kundenseite anfällt, um ein Produkt einzukaufen und zu betreiben. Weitere nicht-monetäre Kosten, die in der Kaufentscheidung eine Rolle spielen können, sind die Personalkapazitäten, die auf Kundenseite absorbiert werden, der Platzbedarf oder die Verwässerung der Management Attention.

Zu den nicht-monetären Kosten können auch Opportunitätskosten gehören – also faktisch das Bedauern, dass man sich mit dem Entscheid für einen Kauf die Möglichkeit vergibt, eine weitere Kaufentscheidung zu treffen, weil z.B. für die zweite Kaufentscheidung nicht mehr genügend Budget zur Verfügung steht. Auch die Sunk Costs, also Ausgaben aus früheren Beschlüssen, können eine kaufentscheidende Rolle spielen. Entscheidet sich ein Käufer z.B. für eine neue IT-Plattform, werden die bereits getätigten Investitionen in die alte Plattform obsolet. Nüchterne Experten der Investitionsrechnung wissen zwar, dass Sunk Costs in Entscheidungen für Zukunftsinvestitionen nichts verloren haben. Trotzdem berücksichtigen die meisten Kunden solche Ausgaben aus politischen oder emotionalen Gründen. Ein Hersteller, der diesem Umstand nicht gezielt Rechnung trägt, verschlechtert seine Marktstellung, weil seine Produktentwicklung und/oder seine Marketing- und Verkaufskommunikation am Kunden vorbeiläuft.

Ebenfalls zu den Cost-Kriterien gehören alle Arten von Risiken, die der Kunde mit der Kaufentscheidung verbindet, und die er minimieren möchte. Dazu gehören Kapitalverlust-, Währungs-, Haftungs- oder Reputationsrisiken.

Es ist essenziell, sich in der Kundennutzenanalyse kompromisslos in die Kundenperspektive zu versetzen. Nur weil der Wirt ein Weinliebhaber ist, heisst dies noch nicht, dass die Kunden wegen der Qualität der Weinkarte ins Restaurant kommen. Vielleicht ist ihnen die Freundlichkeit der Bedienung viel wichtiger – ein Benefit-Kriterium, das der Wirt vielleicht zu tief gewichtet oder ganz übersieht. Ob die Bedienung freundlich und zuvorkommend ist, beurteilen die Kunden (und sagen es weiter), nicht der Wirt.

Oft ist zunächst nicht klar, ob ein Kriterium eher ein Cost- oder ein Benefit-Kriterium ist. Die kompromisslose Einnahme der Kundensicht führt auch hier zur Lösung. Für den knapp kalkulierenden Gewerbetreibenden ist der Benzinverbrauch eines Fahrzeugs ein klares Cost-Kriterium. Für den urbanen Hipster, der bei seinen Kollegen mit Hi-Tech prahlen möchte, ist der (sehr tiefe) Verbrauch eher ein Image-Kriterium auf der Benefit-Seite.

Eigenbild versus Fremdbild

Bei der Durchführung einer Kundennutzenanalyse ist es üblich, zunächst ein sogenanntes «Eigenbild» zu erstellen. Dabei halten die Geschäftsverantwortlichen fest, wie sie glauben, dass ihre Kunden «ticken». Meist entstehen dabei recht robuste Bilder. Diese Eigenbilder sollte zeitnah mit Fremdbildern validiert werden. Dafür empfehlen sich persönliche Befragungen, Umfragen oder Fokusgruppen.

Das Eigenbild wird idealerweise in einem heterogenen Team erstellt, in welchem die Vertriebs-, die Management- und die technische Perspektive verbunden werden. Das erstellte Eigenbild kann dann im engeren Umfeld plausibilisiert werden, z.B. mit Arbeitskollegen ausserhalb der Arbeitsgruppe. Im nächsten Schritt werden bereits zugewandte Kunden beigezogen.

In diesen Ablaufschritten geht es um die Validierung der vom Kunden in Betracht gezogenen Alternativen sowie der Cost- und Benefit-Kriterien. Die Gewichtung der Kriterienanteile und die vergleichende Bewertung der Alternativen können mittels webbasierten Umfragen erhoben werden.

In jeder Etappe, auch bei grossflächigen Umfragen, ist es wichtig, offene Antworten zuzulassen. Durch eine gute, schrittweise Vorbereitung ist zu verhindern, dass eine gross angelegte Umfrage ergibt, dass man «den Markt» völlig falsch verstanden hat. Ist dem aber trotzdem so, sollte man nochmals von vorne beginnen. Sonst riskiert man, in ein anderes Geschäft zu investieren als dasjenige, in welchem die (potenziellen) Kunden das beste Cost/Benefit-Verhältnis suchen. 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert