Aktualisiert am 24. April 2024 durch Lukas Rieder Dr. oec.
Arbeitszufriedenheit
Im ersten Quartal des Jahres 2022 waren gemäss dem Schweizerischen Bundesamt für Statistik BFS über 100’000 offene Arbeitsstellen verfügbar – vor allem im Industrie- und Dienstleistungssektor. Insbesondere die steigende Tendenz fehlender Fachkräfte bereitet vielenorts Sorgen. Im Zuge dieses sich verschärfenden Mangels an Arbeitnehmenden lohnt es sich, im Top-Control «Arbeitgeberattraktivität» der Arbeitszufriedenheit vermehrt Beachtung zu schenken.
Viele Firmen beschäftigen mittlerweile eine Vielzahl von Expertinnen und Experten, um gute neue Mitarbeitende zu identifizieren, zu gewinnen und langfristig halten zu können. Entsprechende HR-Prozesse haben in vielen Unternehmen längst Platz auf den strategischen Landkarten gefunden. Die Initiativen gehen von «active sourcing», über «finder fee’s» für Mitarbeitende oder der Abschaffung von Bewerbungsschreiben hin zu unternehmensinternen Achtsamkeitstrainern, Initiativen im betrieblichen Gesundheitsmanagement, Flex-Work-Angeboten oder Ferienkaufprogrammen.
Diese Angebote mögen ihre Berechtigung haben und unterstützen sicherlich die Bindung von Mitarbeitenden an ein Unternehmen. Nach meiner Erfahrung haben sie – insbesondere für performante und marktfähige (Wissens-)Mitarbeitende – mittlerweile jedoch eher die Qualität von «Hygienefaktoren» und gehören somit zum Pflichtprogramm eines jeden Unternehmens. Eine wirkliche Differenzierung findet hier kaum noch statt.
Führungsverhalten
Arbeitnehmende sind in der Regel selten unzufrieden, weil der Früchtekorb oder der Tischfussballkasten im Büro fehlen. Statistiken zeigen, dass das Führungsverhalten des/r direkten Vorgesetzten massgeblich zur Arbeitszufriedenheit beiträgt (vgl. den Beitrag «Arbeitgeberattraktivität»). Eine Umfrage mit knapp 3’000 Personen bestätigte, dass 62% aller Befragten bereits einmal wegen dem/r Vorgesetzten gekündigt haben (vgl. Information Factory, 2014).
Das Führungsverhalten der direkten Vorgesetzten ist der Schlüsselfaktor der Arbeitgeberattraktivität.
Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass die personenbezogenen Führungsaufgaben in vielen Unternehmen nach wie vor vernachlässigt werden. Viele Führungskräfte aller hierarchischen Ebenen widmen sich ihren Mitarbeitenden erst dann, wenn
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- das Leistungsbeurteilungsgespräch bevorsteht,
- Mitarbeitende des eigenen Führungsbereichs negativ auffallen,
- die Zusammenarbeit nicht wie gewünscht funktioniert,
- im Unternehmen neue Regeln und Prozesse eingeführt werden (sollen),
- Kosten zu senken sind oder Prozessabläufe verändert werden.
Weil Anpassungen an sich verändernde Anforderungen dem normalen Alltag in jedem Unternehmen entsprechen, gilt es, die eigenen Mitarbeitenden kontinuierlich so zu unterstützen, dass sie mit diesen Änderungen umgehen können und dabei die Freude an ihren Aufgaben behalten.
Ein Ansatzpunkt dazu ist «psychologisches Empowerment».
Psychologisches Empowerment
Auf die Statistik zur internen Arbeitgeberattraktivität bezugnehmend (Faktoren der internen Arbeitgeberattraktivität (Trendstudie Arbeitgeberattraktivität (topjob.de) bezugnehend, wird hier das Führungsverhalten des «psychologischen Empowerments» vertieft.
Empowerment bedeutet so viel wie „Ermächtigung“, „Selbstbefähigung“ oder „Stärkung von Eigenmacht und Autonomie“. Sinn und Zweck ist es, Menschen mehr Mitbestimmungsrecht, Autonomie und Handlungsspielraum zu geben.
Studien zeigen, dass psychologisches Empowerment mit einer besonders proaktiven Haltung gegenüber der Arbeit einher geht (sh. Spreitzer G. (1995). Psychological empowerment in the workplace: Dimensions, measurement, and validation. Academy of Management Journal, 38, 1442-62.))). Es wurde ebenfalls nachgewiesen, dass psychologisches Empowerment mit mehr Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung sowie stärkerer Bindung und Engagement assoziiert ist (sh. .Seibert, S. E., Wang, G., & Courtright, S. H. (2011). Antecedents and consequences of psychological and team empowerment in organizations: A meta-analytic review. Journal of Applied Psychology, 96, 981–1003). Ebenso konnten positive Nachweise auf die psychische Gesundheit und das Innovationsverhalten von Mitarbeitenden nachgewiesen werden (Chermuly, C.C. (2023). Empowerment: Die Mitarbeiter stärken und entwickeln. In: Felfe, J., van Dick, R. (eds) Handbuch Mitarbeiterführung. Springer Reference Psychologie, Springer, Berlin, Heidelberg.).
Der Ansatz geht davon aus, dass vier arbeitsbezogene Faktoren das Erleben von psychologischem Empowerment ausmachen (nach Spreitzer, 2008):
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- das Erleben von Kompetenz (berufliche Selbstwirksamkeit)
- Bedeutsamkeit (Sinnhaftigkeit und intrinsische Motivation, also von innen kommende Motivation)
- Selbstbestimmung (Autonomie in der Tätigkeitsausführung)
- Einfluss (Grad an Macht, die Arbeitnehmende während der Tätigkeitsausführung annehmen, Glaube an die Beeinflussbarkeit der eigenen Arbeitsergebnisse)
Die Beziehungsgestaltung ist zentral
Psychologisches Empowerment setzt Vertrauen, Mitarbeitendenorientierung sowie angemessene organisationale Kommunikationssysteme voraus. Weiter kann es durch gezielte und klar definierte Personalentwicklungsprozesse und -angebote eine sinnhafte Arbeitsgestaltung, stärkenorientierten Kompetenzeinsatz sowie durch spezifische personenbezogene Führungspraktiken (für jede mitarbeitende Person anders) beeinflusst werden.
Im Zentrum steht der Aufbau einer Beziehung zu den einzelnen mitarbeitenden Personen. Menschen und ihre individuellen Perspektiven müssen ins Zentrum des Führungsverhaltens rücken. Nur dann kann echte Befähigung stattfinden – anstelle von Überforderung oder dem starren Verfolgen von Befehlsketten. Dies erfordert von der jeweiligen Führungskraft vor allem Zeit, eine entsprechende Haltung und einen bewussten und kompetenten Einsatz spezifischer Gesprächsführungstechniken (u.a. Aktives Zuhören, Fragetechniken, Coachingelemente).
Diese Grundvoraussetzungen werden nach meiner Erfahrung in vielen Organisationen immer noch vernachlässigt. Oft sind von Führungskräften Sätze zu hören wie: «People Management ist mir wichtig, aber ich habe keine Zeit dafür». Wer die Beziehungsgestaltung nicht als prioritäre und elementare Führungsaufgabe wahrnehmen will, wird daher auch kaum langfristig Erfolg haben. Nur wer die Perspektiven der Mitarbeitenden berücksichtigt und die Personen im eigenen Team individuell einbindet, wird von den positiven Effekten des psychologischen Empowerments profitieren und damit einen «echten» Beitrag an die interne Arbeitgeberattraktivität leisten.